Ich habe meine Diagnose als Jugendliche bekommen. Das war gefühlt drei Dinge gleichzeitig: ein Schlag ins Gesicht, kaum zu begreifen und eine große Erleichterung. Das hier ist mein Versuch zu beschreiben, was es bedeutet die Diagnose CED im Jugendalter zu erhalten.
Wenn Du gerade 17 Jahre alt bist, willst Du nicht unheilbar krank sein. Eigentlich liegt da noch alles vor Dir. Dein Kopf ist mit viel beschäftigt. Du sorgst Dich um die Führerscheinprüfung, deine Chancen bei dem Typen aus deiner Stufe und darum, was Du auf der Geburtstagsparty am Wochenende anziehen sollst. Du weißt, dass Du mit dem Abi in der Tasche bald rausziehen kannst in die Welt und weißt nicht, was genau Du dann anfangen sollst. Chronisch krank zu sein passt da nicht rein. Und überhaupt: Was soll das heißen? Muss ich jetzt sterben? War’s das jetzt? Kann ich nicht einfach von diesem Stuhl im Sprechzimmer des Arztes aufstehen, nach Hause gehen und so tun als sei nichts passiert? M-O-R-B-U-S C-R-O-H-N, können Sie das nochmal sagen? Ich kriege es nämlich nicht in meinen Kopf.
Gleichzeitig ist da Erleichterung. Die letzte Zeit war nämlich scheiße. Essen und sich dann vor Schmerzen krümmen müssen. Nichts essen und sich trotzdem vor Schmerzen krümmen müssen. Verabredungen absagen und mit einer Wärmflasche Zuhause bleiben, während alle anderen sein dürfen, was Du eigentlich auch bist: verdammt nochmal jung. In Wartezimmern sitzen und mit Medikamenten gegen Magenschleimhautentzündung nach Hause gehen. Wieder. Im Unterricht sitzen und sich Stärke antrainieren für den Moment, wenn der Schmerz zuschlägt und Du so wenig wie möglich auffallen willst. Irgendwann zu einem neuen Arzt gehen und in besorgte Gesichter schauen. Eine Überweisung fürs Krankenhaus in den Händen halten und auf dem Weg dorthin den anderen via Messenger schreiben: „Ich komm‘ heute nicht zur Schule, muss mal wieder zum Arzt…“. Untersuchungen über sich ergehen lassen, deren Namen man gar nicht wirklich wissen will. In Besprechungszimmern sitzen und wieder in besorgte Gesichter schauen. Denken, „warum müssen Ätzte keine Zusatzausbildung in Taktgefühl machen?“, während Dir jemand eine Diagnose unterbreitet, die dein ganzes, junges Leben auf den Kopf stellt und zur Beschwichtigung nur sagt: „Früher sind die Menschen daran gestorben, heute haben wir zahlreiche Therapie-Methoden“. Spüren wie deine Eltern aufmunternd deine Hand drücken und sehen, dass sie genauso überfordert sind wie Du selbst, sich in der Rolle Mutter oder Vater zu sein aber vorgenommen haben, stark zu sein. Du drückst ihre Hand und bist trotz allem erleichtert, denn es gibt endlich Gewissheit.
Die nächsten Arzttermine und Medikamenteneinnahmen ziehen an Dir vorbei. Du willst der Krankheit nicht zu viel Raum geben. Du machst das einfach und versuchst nebenher nicht so viel zu ändern. Du willst jung sein. Du willst die Welt sehen. Du willst. Du willst nicht: begreifen. Denn das würde bedeuten, dass alles gehörig ins Wanken gerät.
CED im Jugendalter – holpriger Start, große Zukunft
Im Nachhinein wünsche ich mir manchmal, ich hätte mich mehr mit anderen Betroffenen ausgetauscht und die Auseinandersetzung gesucht. Ratgeber-Bücher, die meine Eltern mir aufs Bett gelegt haben, habe ich ungelesen ins Regal gestellt. Eine Selbsthilfe-Gruppe habe ich abgelehnt. Ich wollte erstmal meine Ruhe haben und weitermachen. Ich sein. Dass „ich“ mit einer CED eine neue Bedeutung bekommt, habe ich geahnt, aber erst stückweise begriffen. Verstehen ist im Leben mit einer chronischen Erkrankung ein Prozess, der nicht einfach mit ein paar Gesprächen und Ratschlägen abgeschlossen ist. Aber das ist auch okay so. Mein Weg bestand erst einmal darin, den Fokus auf mich und meine Pläne zu legen. Den Crohn habe ich auf diesem Weg eingebaut. Das hat kurzzeitige Abbiegungen bedeutet, punktuellen Stillstand oder neue Abzweigungen. Was ich nie wollte, war mich und mein Leben um die Krankheit herum zubauen. Auf eine Art geht das als junger Mensch ganz gut, glaube ich. Man ist prinzipiell mutiger, kämpferischer und will mit dem Kopf durch die Wand. Ob das so richtig ist, kann ich nicht sagen. Mir hat es auf eine Weise geholfen, MEINE Träume zu verfolgen und mich nicht zu ergeben. Ins Ausland zu gehen, zu studieren und jetzt mein Master-Zeugnis in der Hand zu halte. Weil Studieren ein spannendes und eigenes Thema für sich ist und weil eine CED auch darauf Auswirkungen hat, will ich davon gerne mit mehr Tiefe in einem nächsten Beitrag erzählen. Jetzt interessiert mich erstmal: Wie ging es Euch damit, als ihr die Diagnose erhalten habt?
Übrigens: Wer als Jugendliche oder Jugendlicher Hilfe sucht, kann das über den Extra-Bereich des DCCV e.V. tun.
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Hey, ich habe deinen Blog gerade vor ein paar Tagen gefunden und muss sagen: Du sprichst mir aus der Seele.
Ich selbst habe Colitis Ulcerosa, die sogenannte kleine Schwester des Crohns. Genau wie du kam bei mir mit 17 die Diagnose. Von Taktgefühl beim Arzt keine Spur. Noch heute, 4 Jahre später, frage ich mich, wie man einer 17-jährigen einfach ohne jegliches Mitgefühl sagen kann, sie müsse jetzt den Rest ihres Lebens damit verbringen. Klar wollte ich (wie fast jede in dem Alter) wie eine Erwachsene behandelt werden, aber innerlich sind wir doch alles Kinder.
Im Großen und Ganzen lief es bisher wie bei dir: ich habe mein Fachabitur gemacht, meine Ausbildung ist fast fertig und ich versuche mich so wenig wie möglich einschränken zu lassen. Klappt leider nicht immer, aber so ist das Leben mit CED eben.
Danke für deinen Blog und hör bitte nicht damit auf!
Liebe Grüße
Liebe Pia,
vielen Dank für deine offenen Worte und das Lob!
Ich sehe viel Wahres in deinem Punkt mit dem Erwachsensein wollen und gleichzeitig Kindsein. Ich glaube, das gilt vor allem, wenn man in Zahlen jung ist. Aber auf eine Weise bewegen wir uns zwischen diesen Rollen vielleicht auch immer, egal wie alt wir sind. Im Sinne von: natürlich will man stark sein, aber deswegen braucht es trotzdem Raum für Schwäche oder Angst und den Wunsch nach Unterstützung. Da die Balance zu finden, ist für mich eine Herausforderung…
Wünsche Dir alles Gute für deine Zukunft und freue mich, wenn Du als Leserin auch weiterhin hier bleibst : )
Hallo Livia,
du sprichst mir aus der Seele, ich habe meine Diagnose mit 22 bekommen.
An meinem 17 Geburtstag fing jedoch alles an. Nach Jahrelangem Leidensweg, vielen Operationen und einem langem Leidensweg habe ich jedoch endlich eine Diagnose.
Eine Diagnose mit der man „arbeiten“ kann.
Ich bekomme schon knapp ein Jahr REMICADE, jedoch sind die Begleiterscheinungen mal weniger schlimm aber manchmal auch unerträglich.
Dennoch habe ich meine Pläne immer durchgezogen, meine Ausbildung abgeschlossen und ein Duales Studium absolviert. Es war nicht immer einfach aber ich bin stolz auf mich!
Danke für deine Worte in denen ich mich so wiederfinde!
Liebe Grüße!