So gut wie alle meiner Beiträge sind aus meiner Sicht – der Perspektive der Patientin, der Erkrankten – geschrieben. Aber außer mich selbst beschäftigt die CED auch andere Menschen in meinem Umfeld, vor allem auch meinen Partner, mit dem ich zusammen lebe. An vielen Tagen geht alles glatt, an anderen sorgt die Erkrankung für Reibung. Es ist ein Tanz zwischen geteilter Zuversicht und Verzweiflung. Ein Austarieren von Möglichkeiten und die Frage: wie kann Unterstützung überhaupt funktionieren und wie viel ist genug? Während mir – simple as that – schon die reine Präsenz gut tut und ich von meinem Umfeld keine absoluten Lösungen erwarte, denn Rettung, die gibt es nicht von Außen, glaube ich, dass gerade Angehörige oft schwer daran tragen, gefühlt „nichts“ tun zu können. Meine Botschaft: ihr tut schon viel, in dem ihr einfach da seid. Weil ich es wichtig finde auch die „andere Seite“ zu verstehen, habe ich meinen Freund gebeten, zu schildern, wie das Leben mit Morbus Crohn für ihn als Angehörigen ist:
Morbus Crohn – so fühlt sich das als Partner an
Zuletzt hat Livia in Morbus Crohn und Partnerschaft III danach gefragt, wann man zu viel verlangt von seinem Partner, von der Familie oder den Freunden. Von der inneren und äußeren Einsamkeit, von der Zerrissenheit und der Verzweiflung der schlechten Tage mit dem Crohn. Auf eine ganz andere Weise lebe auch ich mit der Krankheit – als Partner.
Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie das rothaarige, unbändige Mädchen auf der Holzbank gegenüber bei einem unserer ersten Treffen plötzlich ganz ernst wurde und dann nach kurzem Zögern sagte: Ich habe eine chronische Krankheit. Das musst Du wissen. Es ist nicht ansteckend. Und ich werde auch nicht morgen sterben. Aber es wird Einschränkungen bedeuten, wenn wir ab hier gemeinsam weiter gehen wollen.
In den Tagen zuvor hatte mir Livia Musik gesendet, die ich nicht kannte, und die ich aber eigentlich gerne ihr geschickt hätte. Wir waren in der Morgendämmerung aus einer düsteren Bar gefallen und hatten uns gegenseitig festgehalten. Auf einem unserer ersten Ausflüge mit dem Fahrrad hatte uns ein Gewitter überrascht und wir saßen im Platzregen unter einem großen Baum am Waldrand und hatten den Abstand zwischen Blitz und Donner gezählt. Ich weiß noch ziemlich genau, was ich dachte, damals, in diesem ersten Moment mit der chronischen Krankheit: Wenn das die Einschränkungen sind, die ich bisher erlebt habe, dann kann es uns wohl nicht so sehr im Wege stehen – und die Sache schnell beiseite gewischt.
Das war naiv. Inzwischen habe ich auch die andere Seite kennengelernt. Tage und manchmal Wochen, an denen wir mehr Zeit in den Wartezimmern verschiedener Arztpraxen verbracht haben als in der Nacht. An denen wir einen geplanten Ausflug nicht gemacht haben, und stattdessen ins Krankenhaus gefahren sind. Die bangen Momente und schweren Entscheidungen. Ich habe inzwischen besser verstanden, was die chronische Krankheit bedeutet, und noch viel schwerer als die Arztbesuche und abgesagten Ausflüge wiegt die Leichtigkeit, die man mit den Rückschlägen verliert und um die man so sehr kämpfen muss, wenn man sie nicht verlieren will.
Wie viel Unterstützung ist genug?
Und dann stellt man sich plötzlich auch solche Fragen, wie Livia das zuletzt gemacht hat: Wie viel Unterstützung ist genug? Wann verlangt man zu viel? Aber die Perspektive ist in meinem Fall ja gerade andersherum: Wie viele der Einschränkungen, die so eine Krankheit bedeutet, kann ich leichter machen? Und wann wird es zu viel, auch für mich als Partner? Wie viel Leid kann ich mit tragen, und an welcher Stelle sind mir die Hände gebunden? Muss ich mich zuweilen lösen davon, um dem Strudel von phasenweiser Perspektivlosigkeit und Verzweiflung zu entkommen, den die Krankheit immer wieder bedeuten kann? Um dann im richtigen Moment auch wieder die Kraft zu haben, da zu sein?
Ganz banal übersetzt sich das ja so: Gehe ich noch einmal nach draußen, um Freunde zu treffen, obwohl Livia gerade nicht kann? Ist es in Ordnung, alleine zum Ausflug aufzubrechen? Oder weniger banal: Welches Leben wollen wir führen? Wie viel Einsamkeit ist denn eigentlich in Ordnung? Wie viel Auseinandersetzung ist wichtig und richtig, wenn wir unterschiedlicher Meinung sind, und ab wann macht es das nur noch schwerer für uns beide?
Das alles ist nicht gerade einfach, und am Ende bleibt nicht mehr, als immer wieder zu versuchen, das richtige Maß zu finden. Wie auch Livia schon sagt, geht das vermutlich am besten, indem man viel miteinander spricht, Bedürfnisse offen kommuniziert und versucht, zu Kompromissen bereit zu sein.
Was Livia nicht sagt und wovon ich inzwischen glaube, dass es ähnlich wichtig ist: Manchmal werden wir keinen Kompromiss finden. Dann müssen wir Lernen, die Momente auszuhalten. Die Einsamkeit und den Verzicht, jeder auf seine Weise. So schaffen wir es auch, uns nicht selbst und auch nicht gegenseitig zu verlieren.
Am Ende ist es ja so: ohne die Tiefen wüssten wir nichts von den Höhen. Die Krankheit hat mich Respekt gelehrt – vor den Wegen des Lebens und dem Umgang damit. Ich habe mich noch einmal auf ganz andere Weise damit auseinander gesetzt, zu akzeptieren, was wir nicht ändern können – auch weil es eben nicht immer eine Lösung gibt. Das war mir vorher fremd. Stattdessen gibt es die vielen Zwischentöne und Momente, die trotzdem oder gerade deshalb Halt bedeuten können – für beide Seiten. Das ist dann ein ganz neuer, gemeinsamer Horizont. Dadurch verstehen wir vielleicht sogar in jüngeren Jahren, was viele andere erst später erfahren: dass die schweren Zeiten einer Krankheit die Liebe nicht genauso krank machen müssen, sondern sie mit etwas Geduld und gemeinsamer Energie sogar wachsen kann.
Der Morbus Crohn kann uns dann mal.
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