Abschätzig schaue ich in den Spiegel. „Du trainierst zu unregelmäßig,“ scheinen meine Arme, Beine, mein Bauch, mein Alles zu sagen. Schnell streife ich mein Shirt über und verlasse den Raum. Beim Durchqueren der Küche, strecke ich die Hand nach den Cookies aus, Nervennahrung für lange Tage am Schreibtisch, lasse sie dann aber schnell zurückzucken. Wann habe ich das letzte Mal Situps gemacht? Yoga? Von Joggen rede ich schon gar nicht mehr mit mir selbst. Keine Cookies. Ein wenig schlecht gelaunt verlasse und deshalb etwas zu laut die Wohnung, ziehe ich die Tür hinter mir zu. Mittags esse ich Pho und rühre keinen Zucker in den Kaffee. Tue ich seit Jahren schon nicht mehr mit all meinen Heißgetränken. Es wird schwer mit Einsparungen, denke ich still. Würde ich einen Liter Limo am Tag trinken oder jeden Morgen ein Schoko-Croissant essen, eine Änderung meiner Routine wäre naheliegender. Nehme ich mir noch eine zweite Portion? Frage ich mich Abends, als wir vor den Spaghetti sitzen. Ich lege die Gabel hin und fasse mir an den Kopf. Es hat mich also auch erwischt. Die absurde Zweifel-Maschine.
Ich verbringe jeden Tag, alleine schon berufsbedingt, viel Zeit mit Social Media. „Strong is the new skinny“ heißt es seit ein paar Monaten überall. Fitte Körper so weit man scrollen kann. Ich finde es toll, was Menschen leisten. Noch toller, wenn es sie glücklich macht und sich wohlfühlen lässt. Und doch fühle ich auch einen leichten Druck. Drei Mal die Woche ein Work-Out zum Muskelaufbau und dann eigentlich noch Jogging für die Ausdauer, damit ein Effekt sichtbar wird. Jeder hält es selbst in der Hand und doch starten wir alle an so unterschiedlichen Punkten, dass ich wieder nicht weiß, wie gut sie zu mir und meinem kranken Körper passen, ob ich mich davon freimachen kann, soll oder mir selbst in die Tasche lüge. Was ich von dieser, unter dem Mantel des positiven Körperbewusstseins getarnte Einförmigkeit, die mir überall entgegen glänzt, halten soll.
Nagen und Abwerfen
An bitteren Tagen denke ich mir: „Der Alltag ist schon Höchstleistung genug für mich.“ Immer dann, wenn ich schon gegen Mittag gefühlt all meine Energie aufgebraucht habe und den Kopf gerne unter dem Kissen vergraben würde. Mache ich nie. Fast nie. Mit dem Gedanken, „Das Leben ist mein Marathon,“ schlafe ich dann abends ein, meine Sportsachen und die Hanteln, die ich extra bestellt habe, liegen währenddessen unberührt in ihrer Ecke im Wohnzimmer.
An helleren Tagen wackle ich morgens mit den Zehen und bin ein bisschen fasziniert daran wie gut dieses Körper-Ding mich durchs Leben trägt. Wie es sich aufrappelt, weiterläuft, Ruhe fordert und zurückschlägt. Wie es mich an wunderschöne Orte getragen hat und sich morgens aus dem Bett quält. Wie es weitermacht. Ein paar mehr Muskeln hier und etwas mehr Definition da. Kann man machen, will ich machen. Aber unter der Prämisse, dass mein Körper vielleicht sein eigenes Tempo hat, das wohl verdient ist, denn er leistet verdammt viel und ermöglicht dieses eine Leben hier. Ein paar Schönheitsreparaturen in der kommenden Zeit sind drin, ein Tempel ist er jetzt schon.
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