Liebe Zweifel,
ich schreibe Euch diesen Brief, weil ich mich endgültig von Euch verabschieden möchte. Ihr habt mein Leben an vielen Stellen schwerer gemacht. Ehrlich gesagt habe ich Euch auch nie eingeladen. Ihr wart wie die ungebetenen Gäste auf einer Party. Unerwünscht, aber unausweichlich da.
Als ich damals die Diagnose Morbus Crohn erhielt, war mir nicht klar, dass ich außer einer (noch) unheilbaren Krankheit, ein ganzes Paket an unangenehmen Dingen mitgeliefert bekommen würde. Da sind die körperlichen Probleme. Die Begleiterscheinungen in den Gelenken, auf der Haut. Aber auch unter der Oberfläche ging es weiter. Am Anfang kaum merklich. Gut ausklammerbar. Bis es am Ende schwierig wurde, nicht mehr nicht hinzusehen. Weil es immer lauter tobte.
Heute weiß ich: die Krankheit macht etwas mit deinem Kopf. Vielleicht tut das jede chronische Erkrankung, das wäre auf eine Art fast tröstlich, denn dann gibt es wenigstens viele Verbündete. Alleine fühlt man sich trotzdem oft. Das Ding ist, man kann sich so schlecht vorbereiten. Weder auf die Diagnose, die bahnt sich zwar oft an, kommt dann aber doch aus heiterem Himmel. Und auch nicht auf den inneren Kampf, genau den, den wir oft im Verborgenen führen. Der aber verdammt viel Kraft kostet.
Kann ich das schaffen? Wie geht es weiter? Wie gehe ich damit um? Hilfe! Ich habe solche Angst. Ich muss stark sein. Ich muss. Kann ich das schaffen? Und immer wieder: warum?
Über die Angst, die Sorge, die Zweifel spricht man oft nicht. Sie machen uns scheinbar schwach. Und wer will schon schwach sein?
It’s all in your head. Du musst das steuern, positiv denken, na komm‘ schon, krieg‘ dich ein. Alles halb so schlimm, Du schaffst das, wenn ich Dir nur helfen könnte… Appelle und Hilflosigkeit, gut gemeinte Ratschläge und Schweigen.
Liebe Zweifel, ihr habt mich auch reicher gemacht. An Erfahrung und Tiefe. Ich habe mich an Euch gerieben und mich an Euch geschärft. Es gibt wie so oft im Leben auch hier zwei Seiten einer Medaille. Trotzdem wird es jetzt Zeit, dass ich ohne Euch weitermache. Ich bin komplett und auch nicht fehlerhaft. Ich bin ich. Und Du bist Du. Und sie ist sie und er ist er. Und wir sind wir.
In Wahrheit ist es doch so: jeder von uns ist für sich ein Held. Wir sind nicht schwach, sondern stark. Dafür ertragen wir all das und sind immer noch hier. Ach, viel mehr als das: wir lachen und tanzen und verstehen etwas vom Schmerz, den Andere gerne übersehen wollen.
Und manchmal, da bedeutet Stärke auch schwach zu sein. Und manchmal da darf man sich feiern. Weil wir Helden sind mit Bauchgefühl.
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