Die Sache ist ja die: eine chronische Erkrankung wie Morbus Crohn ist ein fieser Übeltäter. Sie ruiniert gute Momente und schafft Hindernisse, wo man am liebsten keine haben möchte. Jetzt kann man sich aufregen und mit den Füßen stampfen (im übertragenen Sinn, aber ab und zu auch gerne so richtig) und sich wünschen, dass alles ganz anders wäre. Ganz oft in der Vergangenheit bin ich in diesem Karussell schon hängen geblieben. Während ich absolut befürworte, dass man Dinge auch sch**** finden darf und darüber wütend und traurig sein, dann glaube ich mittlerweile auch daran, dass es eine Wahl gibt.
Was bleibt? Die Wahl, die wir haben.
Es gibt ganz schön viele Dinge, die man nicht so wirklich in der Hand hat und damit auch nicht wirklich beeinflussen kann. Und dann gibt es die, die wir eben doch verändern und bestimmen können. Wer sagt zum Beispiel, dass wir immer funktionieren müssen? Mir ist klar, dass diese Aussage in manchen Ohren provokativ klingen mag. Es stimmt, dass Lebensumstände uns fordern und es „verbieten“, dass wir einfach mal nichts tun. Geld muss verdient werden, Familien am Laufen gehalten. Und trotzdem gibt es Freiheiten, die wir uns zu selten nehmen.
Es ist die Freiheit der Momente. Die, in denen wir uns schwach fühlen und das auch DÜRFEN. Kurz: die, in denen man sich erlaubt, nichts zu MÜSSEN. In denen die Tränen fließen und die Wut ihren Raum bekommt. In denen wir nicht erreichbar sind und den Blick auf uns selbst richten.
Ich selbst habe viele Jahre geglaubt, dass ich am besten so wenig Gedanken wie möglich an meine Krankheit, meine Erschöpfung und meine Ängste verlieren sollte. „Die schafft das schon“, dachten Freunde und Familie. Bis eines Tages klar wurde – vor allem mir klar werden musste – „sie schafft es nicht mehr, jedenfalls nicht so“. Seither bin ich dabei genauer hinzuhören: was brauche ich? Wie kann ich gut für mich sorgen? Wer gut zu sich selbst ist, daran glaube ich mittlerweile, kann auch überhaupt erst gut für andere da sein und sorgen. Das fängt im kleinen an: nicht jede Veranstaltung mitnehmen, weil man den Freunden oder Verwandten eine „Freude“ machen will. Sich nicht immer zusammenreißen und „funktionieren“, weil wir von Klein auf gelernt haben, dass man „stark“ sein müsse und niemand Tränen sehen mag. Ich meine, ist es nicht bereits stark, was wir jeden Tag leisten? Weniger hart zu sich selbst sein und sich Schwäche gönnen, um überhaupt wieder Kraft schöpfen zu können. Wenn möglich, über eine Auszeit nachzudenken oder externe Hilfe.
Was müssen wir eigentlich?
Ich selbst habe für meine Verhältnisse etwas ganz verrücktes getan: ich bin weggefahren. 2.5 Monate habe ich mir erstmal genommen, um mit meinem Partner im Bus erst durch England und Schottland zu fahren und dann in Richtung Süden. Gesundheitlich war nach langer Zeit endlich ausreichend Stabilität erreicht, so dass ich mir dachte: soll ich dieses kostbare Zeitfenster nun wirklich an den Alltag verschwenden? Oder bin ich mutig und wage es, den Traum von der langen Reise? Oder ist das Wahnsinn, in meiner Situation, und sollte ich nicht lieber weitermachen, mehr Geld verdienen und dem vermeintlichen Erfolg nachlaufen? Und überhaupt: was sagen wohl die anderen?
Und dann? Ich bin gefahren und bis jetzt geht es gut. Der Crohn scheint sich mit mir in die Auszeit verabschiedet zu haben. Zeit langer Zeit kehrte wieder eine tiefere Ruhe in meinem Kopf und meinen Gedanken ein. Ich habe Zeit nachzudenken und mit Abstand zu überlegen, was mir persönlich eigentlich wichtig ist. Die Entscheidung war richtig und ich habe eines noch besser verstanden: wir müssen bedeutend weniger, als wir glauben.
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